… setzt sich vor allem mit der menschlichen Gestalt auseinander.
Das Umfeld in dem sich meine Figuren bewegen, sehe ich als Spiegelbild ihrer seelischen Zustände. Eine räumliche Atmosphäre wird so zum Mittel, wodurch psychische Prozesse zum Ausdruck kommen. Ein Ort soll sich dem Rezipienten eröffnen, wo vieles möglich scheint, aber nicht alles gezeigt wird. Vieles liegt im Verborgenen und ist doch präsent.
Meine hell-dunkel Malweise versucht ein Licht einzufangen, das einen starken Schlagschatten wirft. Der dadurch entstehende Kontrast bildet das Spannungsfeld. Die dazwischenliegenden Farbnuancen ergeben einen Übergang, die einem Farbsystem unterworfen sind, welches ich mir durch eine intensive Auseinandersetzung, auf theoretischer sowie beobachtender Ebene, erworben habe. Wie ein Regisseur versuche ich den Augenweg des Betrachters zu steuern und lenke ihn mit meiner Komposition auf den wesentlichen Bereich.
Oft ist es der Ausdruck eines Menschen, der zum Zentrum wird. Dieser hat nicht selten den Blick direkt zum Betrachter gerichtet. Ein gegenseitiger Austausch scheint sich dadurch zu entwickeln.
Verschiedene Begebenheiten tragen zur melancholischen Stimmung, die sich in zahlreichen Bildern wieder findet, bei: Meine Hände halten die Frucht einer überdimensionalen Amaryllis, ein toter Vogel liegt im letzten Zug, eine heimliche Menschenversammlung wird gestört, oder aber die Tätigkeit des Malens an sich gestaltet das Bildthema. Es kann auch vorkommen, dass die Natur eine bedeutende Rolle spielt. Nicht zuletzt ist sie für mich das Sinnbild der verlorenen Geborgenheit.
Ich verstehe meine Malerei als die Möglichkeit, eine Welt zu erzeugen, die nicht Abbild einer scheinbaren Wirklichkeit ist, sondern eine neue Realität erzeugt. Dass ich mit diesem Anspruch etwas Unsagbares artikulieren möchte, wo der Zufall Erkenntnis bedeutet, das schöpferische Denken zu einer Katharsis führen kann, ist mir ein Anliegen.
Lukas Johannes Aigner
Die Bilderwelt des Lukas Johannes Aigner (Hannes Etzlstorfer)
Vom Ursprung zur Gegenwart
The Great Meeting –
- oder das Schweigen der Masse und der Störenfried
Aus der aktuellen Werkgruppe tritt das 2008 entstandene Großformat „The Great Meeting“ (140 x 190 cm) wohl als eine der reifsten Leistungen des Malers Lukas Johannes Aigner heraus – sowohl in der inhaltlichen Verdichtung und Aktualisierung der Gruppenbildnistraditionen, als auch in den formalen Details. Das gefährliche Schweigen der Masse, das als Grundtenor die prekäre Situation dieser scheinbar hastig einberufenen Massenversammlung charakterisiert, ruft in beklemmender Weise Stefan Zweigs Beobachtung in Erinnerung, dass ein Hass, der zu schweigen versteht, noch gefährlicher sei als die wildeste Rede. Aigner entscheidet sich für ein Breitformat, um so dem Massenphänomen genügend Ausbreitungsmöglichkeit zu bieten. Aigner wahrt in seinem Gruppenbildnis den tradierten Wiedergabemodus: Er porträtiert eine große Anzahl inhaltlich verbundener, handlungs- oder zumindest haltungsmäßig aufeinander bezogener Akteure, die Aigner in einem düster bedrohlichen Ambiente zusammentreffen lässt.
Meine Malerei ...
Lukas Johannes Aigner, "The Great Meeting" Nr.2, Acryl auf MDF,140x190cm, 2008
Kahle und zugleich schmutzig wirkende Wände in diffusem Blaugrau bilden die düstere Raumfolie zum Geschehen.
Nur im Vordergrund sind auch Tische aufgestellt, deren helle Tischplatten mit den dunklen Silhouetten der Männergestalten gespenstisch kontrastieren. Obgleich jeder seine eigene Pose gewählt hat, fügen sich alle miteinander zum Gruppenbild. Dieses entspricht im Grunde einem Sitzungsbild, wobei die Grenzen klar gezogen sind: Hier der Agitator bzw. Störenfried, dessen Position Aigner aus dem Bild herausrückt und dem Bildbetrachter aufzwingt, dort die zuhörende, bedrohlich-schweigende Masse. Bedrohlich im Sinne von Christopher Darlington Morleys (1890–1957) Erkenntnis: „Man hat einen Menschen noch lange nicht überzeugt, wenn man ihn zum Schweigen gebracht hat.“ Denn die aus den finsteren Augenhöhlen starr auf den Bildbetrachter fokussierten Blicke erklären diesen zum momentanen Zentrum der Aufmerksamkeit, von dessen Auftreten bzw. Aussage viel auf dem Spiel zu stehen scheint. Stehen Massenentlassungen, Streiks oder sonstige bedrohliche Hiobsbotschaften sowie Verunsicherungen unmittelbar bevor? Diese Vermutung legt die Bandbreite der Empfindungen im politisch-agitatorisch aufgeladenen Auditorium nahe, die von Skepsis, Ablehnung, Verständnislosigkeit bis hin zur Aggression reicht.
Wie eine geschickte Pointe mutet es an, wenn uns der Maler den ursprünglichen Bezugspunkt dieser, in einer unentrinnbaren Hermetik angesiedelten, Versammlung gleichsam im Abseits präsentiert: Es dürfte dies vielmehr jener Mann sein, der als Einziger stehend am Podium im Hintergrund links gegeben ist. Damit wird dieses Gruppenbildnis auch zu einer aktuellen Parabel vom Künstlertum: Es muss sich heute mehr denn je seine Rolle als Störenfried einer hedonistischen Gesellschaft, als ungebetener Gast an den Schaltstellen der Macht und als Ombudsmann für geknechtete, unbeugsame Kunst erkämpfen. Zugleich bringt dieses Gemälde auch jene Skepsis gegenüber Schreibtisch- und Konferenztätern zum Ausdruck, wie sie selbst bereits Konfuzius artikulierte: „Die den ganzen Tag mit anderen zusammenhocken, verantwortungslos reden und Dummheiten aushecken – mit solchen Leuten hat man’s schwer.“
Lukas Johannes Aigner, 2001 "Die Menschen im Kollektiv, der Betrachter als Zentrum des Geschehens, so male ich einen Moment der Stille und schaffe einen Raum, eine Versammlung, in die man eingebunden ist, denn sie wartet auf eine Entscheidung."
Aigner weiß den Akzent auf die Gestaltung der Einzelpersönlichkeit zu legen, ohne jedoch die Visualisierung der kollektiven Beziehungen auszublenden. In der Durchmodellierung des Porträthaften bezieht sich Lukas Johannes Aigner auf seinen Lehrer Wolfgang Herzig und dessen Reduktion des Figurativen auf das Wesenhafte (bis hin zur Karikierung der dargestellten Charaktere).
In der Auseinandersetzung mit dem Massenphänomen scheint auch Florentina Pakosta oder auch Renato Guttuso Anregungen geliefert zu haben, ohne jedoch ihre grafisierende Schärfe bzw. ihren kritischen Realismus vollinhaltlich zu übernehmen.
Einen noch viel tiefergehenden Eindruck dürften hingegen die Bildnisse des Briten Francis Bacon hinterlassen haben, der einst schon seinen Vater Fritz Aigner tief bewegte – als Künstler, wie auch als umstrittene Persönlichkeit: „Durch Repros wurde ich auf Francis Bacon aufmerksam, der mich sehr faszinierte, von dem ich dann später in Dublin eine große Ausstellung sah, den ich in London persönlich kennen lernen sollte (...) Bacon fällt mir bei den Gedanken zum Seiltänzer ein, die Einsamkeit, die unheimliche Verlorenheit des einzelnen Menschen im Fleischlichen in der banalen Realität. Mit ein paar Pinselfluscher kann er im Porträt ‚des Menschen‘ alle Menschen wie mit einer Urformel zeigen. Damals, als ich in London lebte und längst kosmopolitisch dachte, grübelte ich viel darüber nach, wo er die total abgründige, fast unmenschlich menschliche Kraft hernimmt. Undeutlich empfand ich, beziehungsweise glaubte ich es zu verstehen, da ich selber intensiv durch einen homosexuellen (nicht abwertend!) Kunsthändler in dessen Kreise einbezogen war und auch des Kunsthändlers tragisches Leben und seinen Tod erlebte – bei F. Bacon die schreckliche Verlassenheit, die Lüge, haarscharf am Leben vorbei.“ Das Fratzenhafte und zugleich Demaskierende ist bei Lukas Johannes Aigner zweifellos ohne Bacons Vorbild undenkbar, wobei Aigner diese Porträtauffassung behutsam ins Massenphänomen zu übersetzen verstand. Die Masse der Zuhörer dieser großen Versammlung definiert sich jedoch weniger über äußere Handlungen, die sich auf die Ausrichtung auf einen außerhalb des Bildes gelegenen Betrachterpunktes beschränken.
Die ikonografischen Wurzeln einer solchen Auffassung sind vor allem in den profanen Gruppendarstellungen des 19. Jahrhunderts (auch in der Graphik) zu suchen, in denen aufkeimende Konflikte der Arbeiterwelt wie Streiks, Demonstrationen und die verschiedensten anderen Motive der Menschenansammlung zu Massenszenen verdichtet wurden.
Darin sind die Erinnerungen an die Wiederbelebungsversuche des bürgerlichen Gruppenbildnisses nach 1850 endgültig ausgelöscht und dem bourgeoisen Repräsentationswillen eine Absage erteilt worden.
Aigner laviert in seiner Komposition zwischen den zeitlichen Grenzen, was vor allem in den modischen Details (Stehkrägen, sog. Vatermörder etc.) evident wird, die bis in die Zwischenkriegszeit üblich waren und sich in die Monotonie der Anzug-Krawatten-Modelandschaft gleichsam eingenistet haben.
Dies gilt auch für die zwei offensichtlich weiblichen Gestalten im Mittelgrund, die vor allem durch ihre Kopfbedeckung (Hüte) als solche ausnehmbar werden.
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Vielmehr werden hier die inneren Handlungsmuster dieser gespenstischen Runde „tatenloser Täter“ ausgelotet, wie dies etwa Werner Tübke in seinen Themen handhabte. Die bis zur Unüberschaubarkeit ausgeweitete Menschenansammlung korrespondiert bei Lukas Johannes Aigner mit der Unwägbarkeit der Gefühlswelten, die er hier an den unterschiedlichsten Charakteren aufzufächern weiß.
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Phantastisches-Erträumtes
Lukas Johannes Aigner, "Der Traum verhüllt durch Wirklichkeit", Triptychon, Acryl auf Tafel, 420x200 cm, 2008
Gleichsam als Gegenprogramm zur Vielfigurigkeit hat sich Lukas Johannes Aigner in vielen seiner großformatigen Kompositionen mit den eigenen Befindlichkeiten und Facetten seiner Persönlichkeit beschäftigt. Archaische Seinsvorstellungen sowie persönliche Reflexionen bilden dabei motivische Anknüpfungspunkte – wie etwa Schlaf und Träume, diese Zwillinge der Nacht und untrennbar miteinander verwobenen menschlichen Erfahrungen, die unserem steuernden Einfluss entzogen sind. Mit diesen setzt sich der Künstler in seinem als monumentales Triptychon konzipierten Gemälde „Der Traum verhüllt durch Wirklichkeit“ (200 x 420 cm) auseinander. Darin hütet Aigner gleichsam seine Traumwelt als kostbare imaginäre Bildwelt, in der sich der Akt des Sehens als nicht steuerbar darstellt. Von Novalis stammt noch die pejorative Einschätzung des Traums: „Schlafen ist Verdauen der Sinneseindrücke.
Träume sind Exkremente.“ Davon ist hier kaum noch etwas zu spüren. Vielmehr gilt für Aigner die Welt der Kunst als eine Welt des Traumes bzw. Phantasie als der Traum eines wachen Geistes, wie dies etwa Elfriede Hablé zutreffend formuliert. Aigners Gemälde zeigt den Künstler auf seiner kargen Liegestatt, die er zentral auf dem bühnenhaft weit zur Horizontlinie angehobenen Dielenboden platziert. Die Schlafstelle besteht nur aus einigen Laken über einer direkt am Boden aufliegenden Matratze. Der Künstler selbst liegt in perspektivischer Verkürzung auf diesem Lager, wobei sich die Körperhaltung des Schlafenden nur schemenhaft unter den lastenden Tüchern abzeichnet. Der rechte Unterarm des Schlummernden ist über die Augenpartie gelegt, als gälte es, sich vor dem von rechts schräg einfallenden Licht zu schützen oder das Geheimnis eines Traumes oder des darin offenbarten, flüchtigen Glücks zu bewahren.„Wer schlafen kann, darf glücklich sein“, sagte einmal Erich Kästner.
Lukas Johannes Aigner, "Mein Malerfetzen", Acryl/Öl auf Leinwand, kaschiert auf MDF, 157x245cm, 2008
Der Einfluss seines Lehrers Herzig, der mit seinem Bühnenbild für Elias Canettis „Komödie der Eitelkeit“ im Rahmen des Steirischen Herbstes 1972 Bühnengeschichte schrieb, wird damit ablesbar. In den Bildern „In Gedanken woanders“, „Späte Erkenntnis“ oder „Wirkung und Ursache“ spielt Aigner nicht nur mit perspektivischen überlegungen, sondern auch mit dem Wechsel warmer und kalter Farbigkeit. Das Momenthafte bzw. Zufällige der Posen, in denen wir den Maler bei seiner Arbeit oder beim Verstauen der Großformate zu beobachten glauben, kontrastiert mit dem kalten statischen Ambiente. Bezüglich seiner eigentlichen Tätigkeiten lässt er uns im Ungewissen, weil er diese Motive so anschneidet, dass der Kern der Handlung stets verdeckt bleibt und der Betrachter das Bild gleichsam für sich selbst zu Ende erzählen muss. Zu dieser Methode der Verunklärung tragen auch einige zusätzliche Motive bei, die sich erst in einer revidierenden Lesart entschlüsseln – so zeichnet sich im Gemälde „Wirkung und Ursache“ das Beziehungsfeld zwischen Maler und Modell wohl erst auf den zweiten Blick ab.
Träume sind Exkremente.“ Davon ist hier kaum noch etwas zu spüren. Vielmehr gilt für Aigner die Welt der Kunst als eine Welt des Traumes bzw. Phantasie als der Traum eines wachen Geistes, wie dies etwa Elfriede Hablé zutreffend formuliert. Aigners Gemälde zeigt den Künstler auf seiner kargen Liegestatt, die er zentral auf dem bühnenhaft weit zur Horizontlinie angehobenen Dielenboden platziert. Die Schlafstelle besteht nur aus einigen Laken über einer direkt am Boden aufliegenden Matratze. Der Künstler selbst liegt in perspektivischer Verkürzung auf diesem Lager, wobei sich die Körperhaltung des Schlafenden nur schemenhaft unter den lastenden Tüchern abzeichnet. Der rechte Unterarm des Schlummernden ist über die Augenpartie gelegt, als gälte es, sich vor dem von rechts schräg einfallenden Licht zu schützen oder das Geheimnis eines Traumes oder des darin offenbarten, flüchtigen Glücks zu bewahren.„Wer schlafen kann, darf glücklich sein“, sagte einmal Erich Kästner.
Lukas Johannes Aigner, "Späte Erkenntnis", Acryl auf MDF, 200x160, 2008
Lukas Johannes Aigner, "Form und Inhalt"Acryl auf MDF, 95x88cm, 2008
Szenen am Rande des Abgrunds
Lukas Johannes Aigner, "Postpupertärer, berufsjugentlicher Komasäufer, werdender Spiegeltrinker", Acryl/Öl auf Tafel, 190x140cm, 2007
In der sehr persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Alkoholmissbrauch, mit dem er schon als Kind durch den davon betroffenen Vater innerhalb der Familie konfrontiert wurde, verlieh er dem großformatigen Bildnis eines „Postpubertären, berufsjugendlichen Komasäufers“ seine eigenen Züge. Mit der Bierflasche noch in der rechten Hand und die Beine lässig überkreuzt, liegt er am Boden. Ist er gestrauchelt, zu Boden gefallen oder nur lallend von seiner Schlafstelle gerutscht? Aigner entzieht sein Antlitz unserer forschen Kontrolle, indem er sich kopfüber ins Bild rückt und damit die Lesart des Porträts erschwert. Auch hier erweist sich Aigner als subtiler Beobachter und Verfremder: Folgt man etwa den perspektivisch steil zur obere Bildkante führenden Dielenfugen von rechts nach links, so ändern sie ihren geraden Verlauf und umspielen kurvenförmig den am Boden liegenden Trinker. Damit wird die Gratwanderung zwischen dem Entrückt-Seins und Verrückt-Seins, wie sie zumeist das Agieren von Alkoholsüchtigen unter zunehmendem Alkoholeinfluss charakterisiert, augenscheinlich.
In der sehr persönlichen Auseinandersetzung mit dem Thema Alkoholmissbrauch, mit dem er schon als Kind durch den davon betroffenen Vater innerhalb der Familie konfrontiert wurde, verlieh er dem großformatigen Bildnis eines „Postpubertären, berufsjugendlichen Komasäufers“ seine eigenen Züge. Mit der Bierflasche noch in der rechten Hand und die Beine lässig überkreuzt, liegt er am Boden. Ist er gestrauchelt, zu Boden gefallen oder nur lallend von seiner Schlafstelle gerutscht? Aigner entzieht sein Antlitz unserer forschen Kontrolle, indem er sich kopfüber ins Bild rückt und damit die Lesart des Porträts erschwert. Auch hier erweist sich Aigner als subtiler Beobachter und Verfremder: Folgt man etwa den perspektivisch steil zur obere Bildkante führenden Dielenfugen von rechts nach links, so ändern sie ihren geraden Verlauf und umspielen kurvenförmig den am Boden liegenden Trinker. Damit wird die Gratwanderung zwischen dem Entrückt-Seins und Verrückt-Seins, wie sie zumeist das Agieren von Alkoholsüchtigen unter zunehmendem Alkoholeinfluss charakterisiert, augenscheinlich.
Lukas Johannes Aigner, "Ohne Titel", Acryl auf Papier, 62x88 cm, 2002/7
Lukas Johannes Aigner, "Postpubertäre, berufsjugentliche, Komasäuferin, werdende Spiegeltrinkerin", Acryl auf MDF, 190x200 cm, 2007
Vom Spiegel belogen, vom Licht betrogen:
Selbstdarstellungen, Anekdotisches und Allegorisches
So hat er das Thema des Stagedivers in mehreren koloristischen Varianten wie auch Formaten abgehandelt und dabei einmal mehr auf die Form des Triptychon zurückgegriffen: Das Herunterspringen von der Konzertbühne ins johlende Publikum, wie es seit den Konzerten Iggy Pops oder Peter Gabriels erstmals überliefert ist, interpretiert Lukas Johannes Aigner als eine fulminante Parabel über Enthemmung, Ausgeliefert- und Aufgenommensein, über Stabilität und Labilität. Vor allem im koloristisch reduzierten Triptychon vermag Aigner die Vielfigurigkeit in ein Furioso aus bewegten Menschenknäuel zu verwandeln: Ein Gewimmel von ausgestreckten Händen, in die sich unentwegt neue Stagediver fallenlassen, verunklärt die kompositorische Strategie, die nur noch an den herabfallenden schweren blauen Bühnenvorhängen an den beiden Seiten erkennbar wird. Damit spitzt Aigner das Tumulthafte noch zu, das diesen Aktionen auch in der Konzertrealität anhaftet und das Musikerlebnis zum sinnlich-körperlichen Event ausweitet. In diesem Bewegungsstrom aus ringenden Händen, vergeblichem Ausweichen, Sich-Wieder-Aufrappeln und Hinunterspringen werden gleichsam bildliche Erfahrungen aus der über Jahrhunderte verbindlichen christlichen Ikonographie – wie etwa aus den spätmittelalterlichen Weltgerichtsdarstellungen sowie den barocken Assumptio Mariae- und Ascensio-Domini-Episoden – augenzwinkernd profaniert. Wie aufgeschlossen er dieser Bildwelt der alten Meister gegenübersteht, mögen seine barocken Reminiszenzen „Von Rom nach Paliano und wieder zurück“ belegen, in denen er der barocken Seite der ewigen Stadt eine Reihe von Motiven ablauschte und sie als faszinierende tenebrose Studien mittels Tusche, Acryl und Öl zu Papier brachte (alle 2006).
Die markante Abschattierung der Gesichter übernimmt Lukas Johannes auch in seinen Porträts, die eine monumentalisierende Tendenz aufweisen und vom magischen Realismus wie auch von der Neuen Sachlichkeit essentielle Anregungen zu beziehen scheinen. Sein ästhetisches Wollen artikuliert sich in den ins Plakative übersteigerten Eigenheiten der Physiognomik – so gerät das Stirnrunzeln in seinem Selbstporträt zu einer maskenhaften Erstarrung, wie wir sie zum Beispiel aus einigen klassizierenden Porträts eines Giorgio de Chirico bereits kennen. In der Makellosigkeit vor allem der Frauenporträts spiegelt sich zudem die Werbeästhetik unserer Zeit wider, wobei hier Aigner durch einen der Feinmalerei angenäherten Pinselduktus besticht, zu dem er im Hintergrund mittels vergröberndem Farbauftrag gleichsam einen formalen Kontrapunkt setzt. In einer Reihe von Atelierszenen wie etwa dem Triptychon „Subventionsjäger sei auf der Hut“, „Vom Spiegel belogen, vom Licht betrogen“, „Wird schon wieder gut“ oder „Wie Bilder entstehen“ kreisen Aigners Gedanken anekdotenhaft um Fragen der Bildfindung, der Selbstreflexion sowie um die Auseinandersetzung mit der Realismus-Naturalismusdebatte, der sich Aigner als deklarierter gegenständlicher Maler stellt.
Manche Details ironisieren zudem den Topos des leidenden wie auch narzisstischen Künstlers, wenn etwa aus einem Gemälde aus einer Wolkenaureole eine übermächtige Hand (Gottes?) scheinbar aus dem Bild ragt, um den in seiner Verzweiflung versunkenen Maler zu trösten: „Wird schon wieder gut“. So wie hier gleichsam das Bild im Bild die Raumgrenzen zu sprengen scheint, so verdichtet Lukas Johannes Aigner in „Vom Spiegel belogen, vom Licht betrogen“ das Thema zu einer beklemmenden Stimmungs- und Interieurstudie: Das Spiegelbild des Künstlers erscheint nicht nur im flackernden Licht, sondern scheint sich vom Urbild verselbständigt zu haben und mit diesem Zwiesprache zu halten. Der Raum ist in einen kühnen Farbakkord getaucht, wobei ein in verschiedenen Valeurs aufgehelltes Weinrot in einem pastellhaften Grün-Türkis-Ton aufzugehen scheint. Diese Arbeit zählt zu den besonders poetischen Bildideen, die sich erst in den Köpfen der Betrachter fertig zu erzählen scheinen und in den Bildern eines Edward Hopper ihre vorbildhafte Entsprechung finden. Neben diesen introvertierten und mit vielschichtigen Bedeutungsinhalten aufgeladenen Gemälden greift der junge Künstler aber auch Sujets auf, die der aktuellen Jugendszene und Eventkultur entstammen.
Lukas Johannes Aigner, "Ohne Titel", Acryl/Öl auf MDF,
Lukas Johannes Aigner, "Vom Spiegel belogen-vom Licht betrogen", Acryl auf Tafel, 110x82, 2008
Lukas Johannes Aigner, "Wird schon wieder gut", Acryl/Öl auf Leinwand, 130x120, 2005
Naturgemäss:
Gartenszenen und Blumenstillleben
Abschließend sei noch auf Aigners Stillleben und Landschaften hingewiesen, in denen er gleichsam eine sehr persönliche Hommage an seinen Vater abliefert. Folgerichtig bezieht er sich auch in der Titelgebung auf diese Nahbeziehung, wenn er etwa eine ins symbolistisch-surreale überhöhte Episode als „Abschied von meinem Vater“ benennt oder in den Arbeiten „Aufstieg und Fall“ (2006) und „Spiegelwelten“ ganz bewusst Kompositionsschemata und Darstellungsweisen seines Vaters zitathaft aufgreift. Ähnliches gilt auch für die Blumenstillleben des Lukas Johannes Aigner, die jedoch malerischer aufgefasst scheinen.
Das bestimmende feierliche Kolorit seines Vaters wird hier durch ein schroffes Nebeneinander von verwandten, gebrochenen Farbtönen ersetzt. In den beiden Gemälden Amaryllis in der Biertulpe I und II (2006) beschäftigt sich Lukas Johannes Aigner auch mit der Prachtpflanze Amaryllis, der auch sein Vater mehrmals künstlerische Referenz erwies. In den vorliegenden Amaryllis-Stillleben schwingt neben den offensichtlichen erotisch-sinnlichen Komponenten (er durchsetzt sein Blumenbild mit weiblichen Akten und sonstigen anthropomorphen Anspielungen), eine weitere Bedeutungsebene mit, leitet sich doch der Name dieser Pflanze von einer Schäferin aus den zehn Hirtengedichten (Eclogae) Vergils ab: „Nonne fuit satius, tristis Amaryllidis iras atque superba pati fastidia“ (=Wär’s nicht besser getan, Amaryllis’ finstere Launen, Hohn und Stolz zu ertragen?). Blickt nicht aus dem Antlitz des jungen Künstlers, das uns inmitten des üppigen Farbenrauschs des bunten Blumenblattwerks fragend und ernst zugewandt ist, diese Kraftanstrengung der überwindung?
Lukas Johannes Aigner, "Auferstehung eines Blumenstraußes", Acryl/Öl auf Papier, 100x70 cm, 1998
Selbstportrait im Regenmantel Acryl,Öl auf Leinen 150x180
Ins Allegorische tendieren auch seine 1998 datierten Studien verwelkender Blumen (Tulpen), von denen er eine mit „Auferstehung eines Blumenstraußes“ betitelte und deutlich mit dem Vanitasmotiv in Verbindung brachte. Lukas Johannes Aigner verweist in dieser Interpretation des Stilllebens indirekt auch auf jenes Synonym, das sich in den romanischen Ländern für den Begriff Stillleben durchgesetzt hat: „natura morte“. In seinen Gartenlandschaften „Im grünen Bereich“, die zwischen 1998 und 2004 entstanden, gewährt Lukas Johannes Aigner Einblicke in üppig wuchernde Hinterhöfe und urbane Kleingärten. Es sind keine blumenstrotzenden Beete, die hier neben „glattrasierten Rasenflächen“ gedeihen.
Es geht um jene grüne Lunge, die von einer jungen Generation auch inmitten der Städte eingefordert wird und als lebensnotwendiges Refugium auch bei Aigner referiert wird. Ein chinesisches Sprichwort lautet „Willst du für eine Stunde glücklich sein, so betrinke dich. Willst du für drei Tage glücklich sein, so heirate. Willst du für acht Tage glücklich sein, so schlachte ein Schwein und gib ein Festessen. Willst du aber ein Leben lang glücklich sein, so schaffe dir einen Garten“.Aigners Interesse gilt dabei den tiefdunkel abgeschatteten Hecken genauso wie den weit ausladenden Laubbäumen neben dem dürren Astwerk vor kahlen Häuserwänden oder dem im Abseits wuchernden Unkraut. über Letzteres befand schon Oskar Kokoschka: „Unkraut ist die Opposition der Natur gegen die Regierung der Gärtner“. Und von eben diesem Künstler stammt auch das Schlusswort, das hier auch die künstlerische Genese des jungen Lukas Johannes ausreichend charakterisiert:
„Talent ist einfach nicht genug. Worauf es wirklich ankommt, ist das Stehvermögen“. Und dieses Stehvermögen ist Lukas Johannes Aigner auch für seine künftigen künstlerischen Herausforderungen zu wünschen, denn das Talent ist fraglos vorhanden.
(Hannes Etzlstorfer)